Nachwuchssichtung: Wer kommt in den Kader?

Jedes Jahr im Herbst haben Nachwuchstalente die Chance, Teil der deutschen Segel-Nationalmannschaft zu werden. Bei der Kadersichtung in Kiel-Schilksee müssen sie beweisen, dass sie nicht nur überdurchschnittlich gut segeln, sondern auch geistig und körperlich fit für eine Karriere im Leistungssport sind.

Sichtung
Sportlergespräch mit Hendrik Ismar, Ole Benthien und Tim Fischer

Wer in den vorolympischen Bootsklassen Laser Radial, 420er, 29er, Nacra 15 oder Bic Techno national und international ganz vorne dabei ist, hat gute Chancen, zur jährlichen Kadersichtung eingeladen zu werden. Basis für die Einladung sind die Kaderkriterien, die der DSV für jede Bootsklasse festgelegt hat.

Am Bundesstützpunkt in Kiel-Schilksee erwartet die Jugendlichen ein umfangreiches Wochenend-Programm mit verschiedenen Aufgaben, Tests und Gesprächen. Nervös sein oder gar Angst haben vor der Sichtung muss aber niemand, sagt Bundesstützpunktleiter Hendrik Ismar: „Wir machen hier keine knallharte Aufnahmeprüfung, im Mittelpunkt steht das gegenseitige Kennenlernen.“

Dabei ist der erste Schritt, zu verstehen, wie das Kadersystem des DSV überhaupt funktioniert. „Das Vorwissen ist hier sehr unterschiedlich“, so der Bundesstützpunktleiter. „Daher bringen wir mit einer Theorieeinheit erstmal allen näher, wie die Verbandsförderung in der Nationalmannschaft aufgebaut ist und was Sportler beachten müssen.“

Funktionelle Leistungsprüfung im Kraftraum

Wer über mehrere Jahre auf höchstem Niveau segeln möchte, muss körperlich topfit sein. Daher bilden umfangreiche Tests im Kraftraum eine wichtige Säule der Sichtung. Crossläufe und Bankdrücken seien nicht mehr zeitgemäß, so Ismar: „Bei uns steht eine funktionelle Leistungsprüfung im Mittelpunkt, bei der für alle die gleichen Bedingungen herrschen.“

Die 15- bis 17-Jährigen müssen dabei noch keine austrainierten Leistungssportler sein, aber es ist wichtig, im Jugendalter die Weichen für ein beschwerdefreies Training zu stellen. Eine Physiotherapeutin schaut sich jede Seglerin und jeden Segler genau an: Bestehen Dysbalancen oder Asymmetrien, die mit gezielten Übungen und Behandlungsplänen korrigiert werden können? „Spätestens ab 18 müssen unsere Sportler ins Hochleistungstraining einsteigen, um international eine Chance zu haben. Da ist es wichtig, eventuelle Defizite vorher auszugleichen“, erklärt Hendrik Ismar.

Sportlergespräch: Wo stehe ich, wo will ich hin?

Ein starker Körper ist eine wichtige Voraussetzung, um als Segler erfolgreich zu sein. Mindestens ebenso wichtig ist aber, dass die Motivation und die Begleitumstände für eine Karriere im Leistungssport stimmen. Jede Sportlerin und jeder Sportler absolvieren vor dem Sichtungs-Wochenende einen umfangreichen Online-Test, den das Zentrum für praktische Sportpsychologie der Uni Potsdam entwickelt hat.

Aus den Antworten wird ein Profil als Basis für das sogenannte „Sportlergespräch“ erstellt, das neben Hendrik Ismar auch der Verbandssportpsychologe des DSV Ole Benthien führt. 2019 ist erstmals auch der Aktivensprecher der Nationalmannschaft, 49er-Steuermann Tim Fischer, in einzelnen Gesprächen dabei.

Es geht um die großen Fragen: Welche Ziele habe ich? Wo stehe ich heute, und welche Schritte bringen mich meinem Ziel näher? „Den Sport, die Schule und später Ausbildung oder Uni unter einen Hut zu bekommen ist eine der größten Herausforderungen für unsere Sichtungskandidaten“, berichtet Hendrik Ismar. „Im Gespräch können wir viele Fragen direkt klären, Ansprechpartner in den Ländern vermitteln und blinde Flecken in der Karriereplanung beleuchten.“ Denn mit etwas Planung kann die duale Karriere im Sport gelingen – das zeigen viele Segler, die erfolgreich Ausbildung und Wettkämpfe meistern.

Sichtung
Mit Olympia-Seglern am Kickertisch bei der Kadersichtung

Mit einigen von ihnen kommen die Sichtungskandidaten direkt in Kontakt: Olympioniken wie Erik Heil und Thomas Plößel mischen sich abends ganz selbstverständlich unter die Runde am Kickertisch und beantworten Fragen. „Marktplatz“ nennt das BSP-Team das lockere Abendprogramm: Die Segler aus den verschiedenen Bundesländern sollen sich kennenlernen und austauschen, über das Segeln, die Schule und was sonst noch wichtig ist.

Wer am Ende das Rennen macht und Teil des German Sailing Teams wird, steht im späten Herbst fest, wenn alle Meisterschaften in den Klassen beendet sind. Das letzte Wort hat ein Fachgremium aus Sportdirektorin, dem Vizepräsidenten Leistungssport, dem jeweiligen Disziplintrainer und dem Bundesstützpunkttrainer, das die finale Entscheidung fällt. Doch auch wenn es in diesem Jahr vielleicht noch nicht gereicht hat, bietet die Sichtung wertvolle Impulse für die kommende Segelsaison und das Training im Heimatverein.