„Immer weiter segeln“ – Nachruf auf Wilfried Erdmann

Mit seinen Reisen brach er Rekorde und ging immer wieder an seine persönlichen Grenzen. Ungeschönt berichtete Wilfried Erdmann von seinen Abenteuern unter Segeln – und inspirierte gerade durch den Verzicht auf Heldengeschichten Generationen von Fahrtenseglern. Nun ist der Wahl-Norddeutsche im Alter von 83 Jahren an einer schweren Krankheit gestorben.

Mit Wilfried Erdmann ist eine Segellegende gestorben. Foto. Erdmann
Abschied von Wilfried Erdmann. Foto: Erdmann

Wilfried Erdmann hat sich etwas getraut. Haus, Job, Bausparkonto – alle vermeintlichen Sicherheiten ließ er hinter sich, um die Welt zu entdecken. Sein erstes Fortbewegungsmittel war ein Fahrrad. Knapp volljährig radelte er Ende der Fünfzigerjahre alleine durch Indien. Fast ein Jahrzehnt später machte der gelernte Tischler das, wovon viele Segler ihr ganzes Leben lang nur träumen: Er segelte einfach los. Alleine, auf einem Sieben-Meter Kielschwerter mit Namen „Kathena“ einmal rund um die Welt. Als Erdmann nach 421 Tagen auf See wieder auf Helgoland anlegte, erwartete ihn jedoch kein Jubel, sondern kritische Nachfragen. Dass er alleine mit diesem kleinen Boot um die Welt gesegelt sein sollte, wollten ihm viele nicht glauben.

Doch Wilfried Erdmann ging unbeirrt seinen Weg weiter. Mit seiner Frau Astrid brach er schon 1969 zur nächsten Weltumsegelung auf. Das Buch „Tausend Tage Robinson“ ist Zeugnis dieser besonderen Hochzeitsreise, von der sie zu dritt zurückkamen – Astrid war bereits schwanger mit Sohn Kym, als sich die Erdmanns mit ihrem Neun-Meter-Boot durch den stürmischen Atlantik nach Hause kämpften.

In seinen Logbüchern berichtet Winfried Erdmann detailliert und völlig ungeschönt vom Leben an Bord: Er hadert mit Entscheidungen, berichtet über seine Angst, gerät ins Philosophieren und schafft in wenigen Worten atmosphärische Bilder. Hier ein Auszug aus seinem Buch „Warum wir immer weitersegeln”:

„Lange habe ich mich nicht so gut auf dem Wasser gefühlt. Frühstück wäre jetzt willkommen. Ich bringe den Petroleumkocher auf Druck, lausche völlig entspannt dem Zischen der Flamme, brühe uns einen Kaffee, obwohl nur ich ihn trinke, und denke mit Blick in den hochwandigen Becher: Segeln ist schön. Wasser. Luft. Licht. Allein sein, obschon wir zu zweit sind. Ausnahmslos Gutes, klasse. Es müsste nur immer alles gelingen. Nicht perfekt, sondern einfach glücken. Habe schon manches Mal gezweifelt, ob wir weitersegeln sollen.“

Heldenerzählungen findet man in Wilfried Erdmanns Büchern nicht – dafür sprechen seine Seereisen für sich. Denn Erdmann war ein furchtloser Seemann, dem kein Ziel zu groß war. Sein Meisterstück lieferte er Anfang der Zweitausender ab: Mit der 34-Fuß-Aluyacht „Kathena Nui“ segelte er in 343 Tagen alleine und nonstop um die Erde* – gegen die vorherrschende Windrichtung. Das nach der Reise entstandene Buch „Allein gegen den Wind“ gehört zu den deutschen Segelbuch-Klassikern.

Auch jenseits des Rentenalters blieb der Freiheitsdrang der Erdmanns ungebrochen. 2010 brachen sie mit der „Kathena X“ zur Ostseetour auf. In einem Alter, wo viele Zweiercrews auf Rollmast und E-Winschen umrüsten, legten sich das Ehepaar eine X-79 zu – sportliche 7,99 Meter, ohne Sprayhood, ohne Stehhöhe und Motor, dafür mit Backstagen, unendlichen Trimm-Möglichkeiten und viel frischer Luft. Von der heimischen Schlei bis Norwegen und zurück führte sie die “skandinavische Acht”.

Bis 2021 ging das Ehepaar regelmäßig auf Tour. Im August 2022 kündigte Wilfried Erdmann an: „Segeln müssen wir aufgeben.“ Damals wusste er schon, dass er schwer krank war. Gestern ist Wilfried Erdmann mit 83 Jahren gestorben. Wir verneigen uns vor diesem stillen, starken Mann, der die deutsche Seglerszene geprägt hat wie kaum ein anderer.

*Korrektur: In der ersten Fassung dieses Artikels vom 11. Mai haben wir geschrieben, dass Wilfried Erdmann seine Weltumsegelung gegen die vorherrschende Windrichtung 1984/1985 absolvierte. Diesen Fehler bitten wir zu entschuldigen.