„Die Saison auf der Schlei ist deutlich verkürzt“

Als Leiter der Abteilung Fahrten- und Freizeitsegeln und der DSV Kreuzer-Abteilung setzt sich Sönke Thomsen für alle Belange der deutschen Fahrtenseglerinnen und -segler ein. Aktuell beschäftigen ihn die Tunnelbauarbeiten vor Fehmarn und die marode Lindaunis-Brücke auf der Schlei. Wie der DSV zwischen Wirtschaft, Land und Vereinen vermittelt, schildert der 40-Jährige im Interview.

Ostsee-Seglerinnen und -segler sind dieses Jahr gleich mehrfach von Bauarbeiten betroffen. Beginnen wir im Seegebiet vor Fehmarn: Was erwartet uns hier in der Saison 2022?

„Simson“ ist einer der größten Schaufelbagger der Welt. Er hat eine Reichweite von mehr als 20 Metern und eine Schaufelgröße von 34 m³ - das entspricht 200 Schubkarren. Foto: Femern A/S
Der eingesetzte „Simson“ ist einer der größten Schaufelbagger der Welt. Er hat eine Reichweite von mehr als 20 Metern und eine Schaufelgröße von 34 m³ – das entspricht 200 Schubkarren. Foto: Femern A/S

Sönke Thomsen: Bereits letztes Jahr haben zwischen Fehmarn und der dänischen Insel Lolland die Bauarbeiten zum neuen Fehmarn-Belt-Tunnel begonnen: Von Rødby aus werden vorgefertigte Tunnelsegmente schwimmend an ihre Position geschleppt und abgesenkt, so entsteht Stück für Stück der Tunnel. Dazu muss vorher eine Rinne in den Boden gebaggert werden. Die Herausforderung für die Schifffahrt ist, dass die Bauarbeiten nicht in einer Linie voranschreiten, sondern die Sperrgebiete sich in unerwartete Richtungen verschieben. Das bedeutet, dass man sich als Segler immer vorher informieren muss, wo das jeweilige Sperrgebiet ist. Zusätzlich wurde noch ein Verkehrstrennungsgebiet eingeführt, um die Schifffahrt in diesen Bereichen zu kanalisieren und zu überwachen.

Wo kann man sich über die Sperrgebiete informieren, wie sind sie gekennzeichnet?

ST: Alle Sperrgebiete sind mit AIS-Bojen markiert, die nachts beleuchtet sind. Jeder, der ein AIS an Bord mit dem Plotter gekoppelt hat, kann sie sich anzeigen lassen. Es ist auch immer ein sogenanntes Guard Vessel vor Ort, das einen ähnlich wie bei Schießgebieten rechtzeitig darauf aufmerksam macht, dass man gerade auf dem Weg in ein Sperrgebiet ist. Dieses Guard Vessel kommuniziert über den UKW-Kanal 68 (Fehmarn Belt Traffic).

In der Karten-Software werden die Sperrgebiete nicht abgebildet, dafür kommen die Updates nicht häufig genug und die Gebiete bewegen sich zu dynamisch. Umso wichtiger ist es, sich vor Törnbeginn über die Position der Baustelle zu informieren. Aktuelle Informationen erhalten Fahrtensegler zum Beispiel über den Navtex-Empfänger, über das elektronische Wasser-Informationsportal elwis.de oder die Bauprojekt-Website femern.com. Auch wir erteilen telefonisch Auskunft und versenden auf Wunsch Infobroschüren über den Tunnelbau.

Gibt es Gefahren, die von der Baustelle ausgehen?

Aushubarbeiten für den Tunnelgraben nahe Puttgarden. Copyright Femern A/S
Aushubarbeiten für den Tunnelgraben nahe Puttgarden. Foto: Femern A/S

ST: Zwar wirbelt der eingesetzte große Löffelbagger „Simson“ viel Sediment auf, aber Motorschäden durch Sand im Kühlwasser sind nicht zu befürchten – dafür sorgt die Distanz durch das Sperrgebiet. Eher für die Berufsschifffahrt ein Problem ist die Manövrierunfähigkeit des Baggers, der von Schleppern in Position gehalten wird. Aber hier ist im Zweifel das Guard Vessel zur Stelle. Sportboote ohne Kartenplotter und AIS sollten nachts im Zweifelsfall einen größeren Bogen um das Sperrgebiet fahren, gerade wenn sie sich nicht über die genaue Position der Tonnen informiert haben. Denn nachts beleuchten viele Strahler die Baustelle und es ist schwer, die Tonnen von den Lichtern zu unterscheiden.

Wie läuft der Austausch mit der Baufirma des Tunnels?

ST: Die Baufirma Fehmern AS ist frühzeitig an uns herangetreten, um alle Beteiligten ins Boot zu holen. Wir sind Teil der Maritime Coordination Group (MCG), in der alle Interessensparteien sich regelmäßig mit der Projektleitung austauschen. Zur MCG gehören der DSV, der dänische Seglerverband, die Lotsen, die Berufsschifffahrt und die Fährgesellschaften in dem betroffenen Bereich. Der Austausch funktioniert bisher gut.

Hat die Baustelle Auswirkungen auf die Langstreckenregatten, beispielsweise der Kieler Woche oder Baltic 500?

ST: Auf der letzten MCG-Sitzung haben wir angeboten, Termine von Seeregatten weiterzugeben, die durch das Gebiet führen. Auf diese Weise ist das überwachende Operations Centre vorgewarnt, dass da Segler kommen. Sollte es zu Berührungspunkten kommen, dann geben wir diese Information an die Veranstalter der jeweiligen Regatta weiter.

Ortswechsel: Auf der Schlei gibt es Stau an den Brücken. Was genau ist eigentlich das Problem, sind die Brücken einfach alt? Oder ist das Gewässer nicht für so viele Boote ausgelegt?

Die über 100 Jahre alte Lindaunisbrücke von Nordwesten gesehen. Foto: Wolfgang Pehlemann
Die über 100 Jahre alte Lindaunisbrücke von Nordwesten gesehen. Foto: Wolfgang Pehlemann

ST: Das Gewässer ist vollkommen ausreichend auch für die Segler, da könnte durchaus gerade in der inneren Schlei noch mehr passieren. Das Problem ist die Brücke in Lindaunis, die der DB Netz AG gehört. Sie ist über 100 Jahre alt und soll ersetzt werden. In den letzten Jahren ist es häufiger zu Störungen gekommen, zudem dauert es fast eine Viertelstunde, bis die Brücke komplett öffnet. Nun wurde die Plangenehmigung erteilt, die Brücke kann ersetzt werden. Alle Parteien sind davon begeistert, Segler, Anwohner, Pendler, Bahnreisende… doch der ursprüngliche Plan geht leider nicht auf. Vorgesehen war, eine neue Brücke zu bauen und die alte parallel in Betrieb zu halten. Aber der Untergrund in der Schlei ist schlammig und weich, bei den Bodenarbeiten hat sich die Brücke nach Osten geneigt und konnte nicht mehr öffnen und schließen. Die Brücke während der Bauarbeiten durchgängig zu öffnen funktioniert also nicht, und zugleich haben sich neue Bauarbeiten ergeben. Für uns Segler bedeutet das, dass die Brücke 2022 erst von Mitte Mai bis vermutlich Mitte September viermal am Tag öffnet. In der Plangenehmigung steht, dass die Schifffahrt nicht mehr als nötig behindert werden darf. Das ist unserer Meinung nach allerdings nicht immer der Fall, insbesondere im Frühjahr und Herbst.

Lässt sich die Lindaunis-Brücke nicht mit gelegtem Mast passieren?

ST: Theoretisch können Schiffe mit niedrigem Aufbau bei normalem Wasserstand auch unter der geschlossenen Brücke durchfahren. Aber bei einem Fahrtenschiff setzt oder legt man ja nicht eben mal so den Mast. Das ist einfach nicht praktikabel.

Und die neue Brücke dürfte kommendes Jahr noch nicht fertig sein…

ST: Nein, die Bauarbeiten ziehen sich bis voraussichtlich 2025 hin. Im kommenden Jahr wird die Brücke wohl tendenziell eher ab Juni-Juli wieder regelmäßig öffnen und wieder Mitte September-Anfang Oktober schließen. Für allein sieben DSV-Vereine mit circa 900 Mitgliedern und 300 Booten ist die Saison also deutlich verkürzt: Der Großteil der Vereinsmitglieder sind Fahrtensegler. Die wollen für ihre Touren am Wochenende auf die Ostsee und brauchen verlässliche Brückenöffnungszeiten. Dass die Brücke nicht wirklich verlässlich ist, macht die innere Schlei und die Vereine dort für Segler nicht unbedingt attraktiver. Der Segelsport boomt und ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Region. Wenn die Boote nur bis Kappeln fahren, wie das im letzten Jahr häufig der Fall war, hat die Region von dem seglerischen Tourismusboom aber leider nichts. Wir befürchten außerdem, dass die maritime Infrastruktur leidet. Winterlager, Segelmacher, Werften haben sich in der Region über die letzten Jahre gut entwickelt. Nun haben die Anbieter Angst, dass die Kunden in andere Reviere abwandern, und denken zugleich selbst über einen Standortwechsel nach.

Was kann der DSV hier bewirken, gibt es Gespräche? Welche Ziele verfolgt der DSV?

Auf der inneren Schlei bangen Vereine und Betriebe um ihre Existenz. Bei einer Wahlkampfveranstaltung im Frühjahr dieses Jahres hatte die Firma Comfort Yacht eine klare Botschaft an den Wirtschaftsminister. Foto: Comfort Yachts
Auf der inneren Schlei bangen Vereine und Betriebe um ihre Existenz. Bei einer Wahlkampfveranstaltung im Frühjahr dieses Jahres hatte diese Firma eine klare Botschaft an den Wirtschaftsminister. Foto: Comfort Yachts

ST: Wir stehen in Kontakt mit dem schleswig-holsteinischen Verkehrsministerium, der DB Netz AG und dem Wasser- und Schifffahrtsamt. Von dort wurde uns Verständnis für unsere Probleme signalisiert. Am 17. Mai findet eine Videokonferenz mit den zuständigen Referenten für die Baumaßnahme statt, wo es um die Bedürfnisse der Seglerinnen und Segler geht. Auch haben wir als Entlastung für die betroffenen Vereine eine reduzierte Wasserpacht ins Spiel gebracht. 2021 wurde das Nutzungsentgelt für die Bundeswasserstraßen ja deutschlandweit angepasst und die Schlei in die teuerste Kategorie eingestuft. Vor dem Hintergrund der Baumaßnahmen setzen wir uns dafür ein, dass die Wasserpacht für die Schlei-Vereine heruntergesetzt wird.

Unser Ziel ist es, einen Kompromiss zu finden, der alle Betroffenen nicht zu sehr belastet. Viel wäre schon gewonnen, wenn die Brückenöffnungszeiten im Frühjahr weiter nach vorne und im Herbst weiter nach hinten rücken würden. Und es braucht ganz dringend einen Plan B, wenn es während der Saison zu Brückensperrungen kommt. Zwar geht man bei der DB Netz AG davon aus, dass die Brücke dieses Jahr wohl durchgängig funktionieren wird, aber die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass man einen Notfallplan braucht.

Sönke Thomsen ist an der Schlei aufgewachsen, die Señorita Helmsman seiner Familie liegt in Schleswig. Er hofft, trotz der Brücken-Bauarbeiten in den kommenden Jahren auf Ostsee-Sommertour gehen zu können.